Freitag, 13. April 2012

"Entropic gravity" TEIL 3: Ein neues Paradigma

Kopernikanische Wende (Quelle: wiki)
Ein Paradigma bezeichnet eine Weltanschauung oder wissenschaftliche Denkweise. Ändert sich eine wissenschaftliche Denkweise fundamental spricht man von einem Paradigmenwechsel. Wie etwa die Einsicht, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht anders herum. In der Physik ist gerade ein neues Paradigma am aufkeimen. Für einen Paradigmenwechsel müsste sich diese Paradigma erst noch bewähren. Das Paradigma sieht aber viel versprechend aus, da es nicht nur ermöglichen könnte Gravitation und Quantenmechanik zu verbinden, sondern auch noch das Rätsel um die dunkle Energie und die dunkle Materie lösen könnte...




Das neue Paradigma heißt "entropische Gravitation" und bezieht sich auf Erik Verlindes Publikation "On the Origin of Gravity and the Laws of Newton". In Teil 1 habe ich dazu Entropie und in Teil 2 das holografische Prinzip erklärt. In diesem Teil möchte ich besprechen wie Entropie zu einer Kraft führen kann, Details von Verlindes Arbeit sowie mögliche Folgen anschneiden.



1. Entropische Kraft


Wer Teil 1 gelesen hat und dem klar geworden ist, dass Entropie ein statistisches Gesetz ist, dürfte sich wundern wie "Wahrscheinlichkeit" eine Kraft auslösen kann. Zur Erklärung möchte ich nicht Verlindes Beispiel und Herleitung verwenden. Stattdessen greife ich auf eine einfachere Darstellung des "Hängematten Physikers" zurück (sehr empfehlenswerter Physikblog mit einfachen anschaulichen Darstellungen).

Hierzu "erschaffen" wir uns ein einfaches Universum. Ein Modelluniversum, in dem ein Verhalten auftreten wird, das der Gravitation sehr ähnlich ist: Das "Mikado Universum".


Das Mikadouniversum.


In diesem Universum gibt es nun eine Anzahl möglicher Pfade, dargestellt durch die Linien. Diese Pfade können belegt bzw "an" sein (dargestellt durch die schwarzen Linien) oder sie sind leer bzw. "aus" (graue Linien). Ob diese Pfade nun "an" oder "aus" ist erst einmal zufällig. Obiges Bild zeigt eine Kombinationsmöglichkeit bei einer zufälligen Auswahl an möglichen Pfaden. Das ist vergleichbar mit dem möglichen Ausgang bei drei aufeinander folgenden Münzwürfen der etwa Kopf, Kopf, Zahl sein könnte. Der Ausgang Kopf, Kopf, Zahl ist hierbei eine mögliche Kombination von viele (Kopf, Zahl, Kopf / Zahl, Zahl, Zahl etc.)


Darüber hinaus gibt es noch die Kreise. Diese sind einfach mal irgendwo in unserem Universum. Nun gibt es aber für einen möglichen Pfad eine Regel. Geht ein möglicher Pfad durch einen solchen Kreis, dann kann er nicht belegt bzw "an" sein. Dadurch gibt es also "Lücken" zwischen den verschieden schwarzen Linien in den sich diese Kreise aufhalten. Das ist mal der Startzustand.


Nun legen wir für den Fortgang des Universums ein paar Regeln fest:

  1. Wähle einen Strahl zufällig aus (etwa durch würfeln).
  2. Ist der Strahl "an" (also schwarz) schalte ihn aus.
  3. Ist der Strahl "aus" (also grau) schalte ihn ein, aber nur dann wenn dabei eine "Lücke" nicht so klein werden würde, dass ein Kreis nicht mehr hineinpasst.
  4. Wiederhole 1. bis 3. "ad infinitum"


Was wird nun passieren, wenn wir das lange genug wiederholen? Die Lücken (und somit auch die Kreise) werden sich zusammenschließen und die Entropie nimmt zu. Probiert es einfach mal aus:




(Anmerkung: Dieses Applet stammt nicht von mir sondern vom "verrückte Physiker" der dies auf Anregung durch den Blogbeitrag des "Hängematten Physikers" geschrieben hat. Den Quellcode für das Java script habe ich eins zu eins übernommen und man findet diesen hier. Ich habe nur den html frame übersetzt und einen "restart" Knopf hinzugefügt.)


Warum ist das so. Von allen möglichen Zuständen, wie diese Experiment ausgehen kann, gibt es deutlich mehr Kombinationsmöglichkeiten für die Strahlen mit zusammengeschlossen Lücken (bzw überlagerte Kreise), als mit Lücken die auseinander liegen. Das liegt daran, dass überlagernde Kreise und Kreise die näher bei einander sind, weniger Strahlen ausschließen. Der Ausgang landet also wahrscheinlicher in einem Zustand mit mehr Kombinationsmöglichkeiten. Aus diesem Grund erscheint es so, dass sich diese Kreise, wie durch eine Kraft anziehen. Eine "Kraft" im eigentlichen Sinne ist hier aber nicht vorhanden. Hier "herrscht" nur die Entropie.

Nun hat dieses Modell natürlich seine Grenzen. Wie schon beim "Kügelchenbeispiel" in Teil 1 haben wir hier nicht sehr viele Kombinationsmöglichkeiten (zumindest im Vergleich zur "wirklichen" Welt). Die Wahrscheinlichkeit einer eher ungleichmäßigen Kügelchenverteilung ist zwar nicht sehr hoch im Vergleich zu einer gleichmäßigen, aber dennoch deutlich geringer als die Wahrscheinlichkeit einer ungleichmäßigen Wärmeverteilung in einem Zimmer als einer gleichmäßigen. Ebenso verhält es sich hier. Die Kreise im Mikadouniversum können lange Zeit an einer Position verharren oder sich sogar scheinbar abstoßen. Wer das applet aber etwas länger beobachtet und es mehre male laufen lässt wird die Tendenz erkennen. Umso komplexer das System ist umso deutlicher wird aber die Tendenz. Für ein Mikadouniversum mit 300 Pfaden wäre die Obergrenze der Entropie 300 Bit. In einer Kugel mit Radius 1 meter (schwarzes Loch oder holografischer Horizont), liegt die Obergrenze bei sage und schreibe

17351408892275200000000000000000000000000000000000000000000000000000000 Bit

(Erklärung: die Bekenstein-grenze in Bit ist $log_2 e \cdot \frac{A \cdot c^3}{4 \cdot G \cdot \hbar}$, für $A$ ist hier $4 \pi r^2$, also die Kugeloberfläche, eingesetzt und die Umrechnung von thermodynamischer Entropie in Bit kann man durch Multiplikation mit $\frac{\log_2 e}{k_B}$ erreichen).


Vergegenwärtigt man sich die Unterschiede in der Größenordnung , dann wird schnell klar, dass aus der groben Tendenz im Mikadouniversum, schnell eine deutliche Tendenz in unserem Universum werden kann, die wie eine gleichmäßige Kraft aussieht.


2. Optional: Verlindes Herleitung von Newtons Gravitationsgesetz

(Bei akuter Mathephobie diesen Abschnitt überspringen)

Ich möchte nun die Herleitung von Newtons Gravitationsgesetz, wie sie Verlinde macht, aufzeigen und werde dazu nicht auf die Mathematik verzichten. Die Mathematik ist relativ einfach und gerade mal Mittel- bis Oberstufenniveau und es wird hier nichts anderes gemacht, als Gleichungen umgestellt und eingesetzt. Etwas komplizierter sind aber die Annahmen die man für diese Herleitung benötigt. Diese werde ich ausführlich erklären. Das Wichtige dabei ist klarzumachen, dass bei den Annahmen, nichts direkt über die Gravitation einfließen wird.

Verlindes Herleitung des Trägheitsprinzips ist nicht ganz leicht nachzuvollziehen, weshalb ich diesen Schritt auslassen werde und das Trägheitsprinzip als gegeben annehme. Wie man sich eine entropische Kraft, vorstellen kann, habe ich oben versucht klar zu machen und denke, dass ein Verzicht daher durchaus legitim ist. Es gilt also als gegeben:

$$F=m \cdot a$$

Die nächste Annahme setzt voraus, dass das holografische Prinzip gilt. Hierzu nehme wir einen fundamentalen Freiheitsgrad und eine räumliche Begrenzung für diese an. Die möglichen Zustände dieses Freiheitsgrades seien $0$ und $1$ (also diskret), der Freiheitsgrad ist also einfach in Bits. Desweiteren führen wir eine Naturkonstante $l$ ein mit $l=1{,}616199 \cdot 10^{−35} {\rm m}$. Die Fläche $l^2$ ist die räumliche Begrenzung für den Freiheitsgrad. Auf der Fläche $l^2$ kann es also höchstens die zwei Zustände $0$ und $1$, also 1 Bit Information geben, also 1 Bit pro $l^2$. Für eine beliebige Fläche $A$ kann es also höchstens $N$ Bit an Informationen enthalten und für $N$ gilt folglich:

$$N = \frac {A}{l^2}$$

Nun machen wir einen Rückgriff auf die Thermodynamik bzw die statistische Mechanik. Speziell auf das Äquipartionstheorem. Diese besagt schlichtweg, dass Energie, bei einer gleichmäßigen Temperatur, ebenso gleichmäßig über jeden Freiheitsgrad, also hier über jedes Bit, verteilt ist. Wir haben einen Freiheitsgrad und $N$ Bits. Also gilt:

$$ E= N \cdot \frac{1}{2} \cdot k_B \cdot T$$

Außerdem brauchen wir nun noch die Äquivalenz von Energie und Masse.

$$ E= m\cdot c^2$$

Diese Formel stammt zwar von Einstein und die heutige Theorie der Gravitation ebenso, aber diese Formel hat nichts mit der Gravitation zu tun. Wie man auf diese Formel kommt, ist im wikipedia Artikel gut erklärt. Diese Anmerkung nur deswegen, dass man nicht auf die Idee kommt, die Gravitation wird hier heimlich durch Annahmen "hereingeschmuggelt".

Die letzte Annahme die wir noch brauchen ist die Unruh-Temperatur. Diese ist quasi das Gleiche wie die Hawking-Temperatur aber deutlich schwerer zu erklären. Ich werde deshalb auf einen Erklärung verzichten und auf die Hawking-Temperatur verweisen (vgl. Teil 2). Es gibt aber noch eine wichtige Anmerkung zu machen. Während Hawking die Gravitation (speziell schwarze Löcher) braucht um die Temperatur herzuleiten braucht Unruh dies nicht. Es genügt eine Rindler-Metrik und die Nullpunktsenergie. Die Rindlermetrik rechtfertig sich alleine aus der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Die Unruhtemperatur ist:

$$ T = \frac{\hbar \cdot a}{2\pi \cdot c \cdot k_B}$$

Jetzt können wir anfangen die Gleichungen umzustellen und einzusetzten. Als erstes stellen wir die Gleichung $(5)$ nach $a$ um. Also

$$ a = \frac{2\pi \cdot c \cdot k_B \cdot T}{\hbar}$$

Außerdem stellen wir Gleichung $(3)$ nach $T$ um...

$$T = \frac{2 \cdot E}{N \cdot k_B}$$

und setzen diese nun in Gleichung $(6)$ für $T$ ein (dabei kürzt sich $k_B$ raus), also:

$$ a = \frac{4\pi \cdot c \cdot E}{N \cdot \hbar}$$

Nun setzten wir darin wiederum für $E$ die Gleichung $(4)$ ein. Also:

$$ a = \frac{4\pi \cdot c^3 \cdot m}{N \cdot \hbar}$$

Für $N$ setze ich nun die Gleichung $(2)$ ein:

$$ a = \frac{4\pi \cdot c^3 \cdot m \cdot l^2}{A \cdot \hbar}$$

Wir hatten es bei der Oberfläche im Holografischen Prinzip mit der Kugeloberfläche zu tun. Die Oberfläche einer Kugel mit Radius $r$ ist $4\pi r^2$. Das setzten wir nun für die Fläche $A$ ein (dabei kürzt sich $4\pi$ raus):

$$ a = \frac{c^3 \cdot m \cdot l^2}{r^2 \cdot \hbar}$$

Diese Gleichung setze ich nun in Gleichung $(1)$ für $a$ ein. Die Beschleunigung die wir errechnet haben, hängt schon von einer Masse $m$ ab und die Kraft die wir berechnen wollen, hängt nun von einer anderen beliebigen Masse ab. Daher schreibe ich für eine diese Massen nun $m_1$ und $m_2$, damit keine Verwechslung auftritt. Also:

$$ F = m_1 \cdot \frac{c^3 \cdot m_2 \cdot l^2}{r^2 \cdot \hbar}$$

Die Gleichung schreibe ich noch ein wenig um:

$$ F = \frac{c^3 \cdot l^2}{\hbar} \cdot \frac{m_1 \cdot m_2}{r^2}$$

Jetzt stehen die ganzen Konstanten im ersten Term und die Variablen im zweiten. Statt jedes mal diese Konstanten zu schreiben, kann man nun noch den Wert berechnen. Es gilt $c = 299792458 {\rm \frac {m}{s}}$, $\hbar = 1{,}054571726 \cdot 10^{-34} {\rm J \cdot s}$ und $l=1{,}616199 \cdot 10^{−35} {\rm m}$. Also:

$$\frac{c^3 \cdot l^2}{\hbar} = {\rm \frac {299792458^3 \cdot 1{,}616199^2 \cdot 10^{−70} m^5}{6{,}62606957 \cdot 10^{-34} J \cdot s^4}}$$

Mit der Umrechnung von Joule (${\rm J=\frac {kg \cdot m^2}{s^2}}$) und einem Taschenrechner kommt man auf:

$$\rm 6{,}673837884026679 \cdot 10^{-11} \frac {m^3}{kg \cdot s^2}$$

Das ist die Gravitationskonstante $G$. Wir können nun $(13)$ entsprechend umschreiben:

$$ F = G \cdot \frac{m_ \cdot m_2}{r^2}$$

und wir haben das Newtonsche Gravitationsgesetz samt Gravitationskonstante durch ein paar grundlegende Annahmen (die nicht direkt was mit Gravitation zu tun haben) hergeleitet.

Man mag hier nun einen Trick vermuten, denn die Gravitationskonstante wurde durch die oben neu definierte Konstante $l$ abgeleitet. Dieses $l$ ist die Planck-Länge $l_{\rm P}$ und die ist definiert durch $l_{\rm P} = \sqrt{\frac{\hbar\,G}{c^3}}$. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir am Ende $G$ erhalten. ABER das ist dennoch kein Trick, sondern nur eine Frage der Perspektive. Man könnte ebenso $l_{\rm P}$ als Naturkonstante betrachten und $G$ als abgeleitet Größe verstehen die durch $G=\frac{c^3 \cdot l_p^2}{\hbar}$ definiert ist.

Genau diese Frage der Perspektive ist der zentrale Punkt von Verlindes Publikation und er vergisst auch nicht zu betonen, dass es sich um eine heuristische Betrachtung handelt. Denn in der Tat gibt es noch einen "Trick", denn bei der Verwendung des holografischen Prinzip setzt er die Masse exakt auf dem Horizont an:

Fig. 3 aus Verlindes Publikation
Masse m liegt exakt auf dem Horizont.
Dieses Zusammenfallen von Kugelradius $r$ und $r$ als Abstand der Masse hat die Herleitung ermöglicht und ich sehe keine Möglichkeit den Abstand der Masse nicht ohne einen anderen vergleichbaren "Trick" einfließen zu lassen. Da ich mit Sicherheit nicht der Einzige bin, dem dieser Trick sofort aufgefallen ist und Verlindes Publikation, dennoch mit viel Interesse aufgenommen würde, macht nochmal klar, das diese obige Herleitung nicht des Pudels Kern ist. Verlinde schreibt:


"Diese Gleichungen kommen nicht durch Zufall heraus. Es musste funktionieren, teilweise wegen dimensionalen Gründen und auch weil die Gesetze von Newton Zutaten in den Schritten waren, die zu der Thermodynamik Schwarzer Löcher und dem holografischen Prinzips waren. In gewisser Hinsicht haben wir diese Argumente umgedreht. Aber die Logik ist ganz klar verschieden und wirft ein neues Licht auf den Ursprung der Gravitation: Es ist eine entropische Kraft"
(Quelle: Eric Verlinde - On the Origin of Gravity and the Laws of Newton", arXiv:1001.0785v1 S.9; Übersetzung und fett von mir)

Exakt das war es, was ich meinte als ich in Teil 1 davon sprach, dass Verlinde die Thermodynamik schwarzer Löcher von den "Füßen auf den Kopf stellt".


3. Die Gravitation auf den Kopf gestellt



Betrachtet man die Geschichte der Gravitation von Newton über Einstein bis zur Thermodynamik schwarzer Löcher so passiert bei letzteres etwas eigenartiges. Ein schwarzes Loch hat mit Bekenstein und Hawking plötzlich eine Temperatur und eine Entropie. Die Entropie hängt mit der Größe des Ereignishorizonts zusammen. Das ist aber mehr als eigenartig. Woher sollte denn die Gravitation etwas von der Thermodyanmik "wissen". Außerdem sieht es es aus als ob das schwarze Loch eine Temperatur hätte, obwohl es ja selber nicht wirklich strahlen kann. Hawkings und Bekensteins Entdeckungen passen eigentlich nicht zum üblichen Verständnis der Gravitation.

Dreht man nun aber die ganze Sicht um und betrachtet die späteren Erkenntnisse als Voraussetzung, dann ist das Bild plötzlich deutlich klarer. Wenn die Gesetzte der Thermodynamik den selben Ursprung haben wie die Gravitation ist deren Wechselspiel plötzlich nicht mehr verwunderlich.

Dass man historisch die Gravitation, Raum und Zeit sehr früh entdeckt hat, ist nicht verwunderlich. Raum, Zeit und Gravitation sind sehr offensichtliche Erscheinungen und fallen natürlich schnell ins Auge, wenn man versucht die Natur zu erklären. Sie müssen aber deswegen noch lange nicht fundamentale Ursachen in der Natur sein.

Was das Konzept der entropischen Gravitation so richtig interessant macht, werde ich den nächsten drei Abschnitten erläutern, wenn es um die größten Rätsel der heutigen Physik geht: Die dunkle Energie, die dunkle Materie und die Verknüpfung von Relativitätstheorie und Quantenmechanik.


3.1 Dunkle Energie



Rotverschiebung (Quelle wiki)
Jeder kennt es: Wenn ein Krankenwagen mit einer Sirene an einem vorbeifährt ändert sich der Ton. Während der Wagen auf einen zufährt, klingt dieser Ton höher und nachdem er vorbei gefahren ist tiefer. Diesen Effekt nennt man den Doppler-Effekt. Einen vergleichbaren Effekt gibt es auch bei Licht. Bewegt sich Licht auf einen zu, wird es ins Blaue verschoben, bewegt es sich weg, wird es ins Rote verschoben. Beide Effekte haben mit der Wellenlänge zu tun. Eine derartige Rotverschiebung kann man auch in der Astronomie beobachten.

Es gibt aber bei der kosmologischen Rotverschiebung, die man bei entfernten Galaxien beobachten kann, einen Unterschied. Die Galaxien entfernen sich nicht von uns weil sie "wegfliegen", sondern weil sich der Raum ausdehnt. Das ist etwa so, wie wenn man einen Dopplereffekt, von einem stehenden Krankenwagen wahrnimmt, weil die Straße zwischen Wagen und einem selber, immer länger wird. (Den Grund warum man die kosmologische Rotverschiebung vom Dopplereffekt bei Bewegung unterscheiden kann, lasse ich mal weg).

Rotverschiebung: links Sonne,
rechts eine entfernte Galaxie
(Quelle: wiki)
Damit man überhaupt eine Rotverschiebung feststellen kann, muss man natürlich erstmal wissen, welches Spektrum das Licht "normalerweise" hätte. Dazu kann man glücklicherweise auf die Spektrallinien zurückgreifen. Da diese sehr charakteristisch sind, kann man sehr gut unterscheiden, ob es sich einfach nur am andere Spektrallinien oder eine Verschiebung handelt (vgl. Bild rechts).

Die kosmologische Rotverschiebung ist seit längerem bekannt und veranlasste Einstein zur Einführung der kosmologischen Konstante. Durch genaue Beobachtungen fand man 1998 zusätzlich noch heraus, dass die Rotlichtverschiebung immer weiter zunimmt, also dass sich das Universum nicht nur ausdehnt, sondern sogar beschleunigt (exponentiell) ausdehnt. Für diese Entdeckung bekamen Perlmuter, Schmidt und Riess letztes Jahr den Physiknobelpreis 2011 .


Das Problem an der ganzen Geschichte: Man hat keinen blassen Schimmer warum? Für eine Erklärung nimmt man deshalb eine unbekannte Form von Energie an und da man im dunklen tappt (in doppelter Hinsicht), was diese Energie ist, nennt man sie Dunkle Energie. Zusammen mit der Dunklen Materie (zu der wir gleich auch noch kommen) macht dies ca 95% der gesammten Masse/Energie des Universums aus. Der größte Teil des Inventars des Universums ist quasi unbekannt.

Was aber wenn es gar keine Dunkle Energie gibt und die Ausdehnung des Universums eine ganz andere Ursache hat. Die "entropische Gravitationstheorie" könnte so eine Erklärung bieten. Raumzeit und Gravitation entstehen dort emergent und stehen im Zusammenhang mit der Entropie des holografischen Horizonts. Wir erinnern uns an Teil 1 in dem wir gesehen haben, dass Entropie die logarithmische Betrachtung der  Kombinationsmöglichkeit ist. Weil die Kombinationsmöglichkeiten exponentiell zunehmen, vereinfacht die logarithmische Betrachtung die Betrachtung der Kombinationsmöglichkeiten (bzw des Phasenraums). Exponentiell zunehmende Kombinationsmöglichkeiten, exponentiell ausdehnendes Universum? Dämmert es und kommt Licht ins Dunkle?

Eine Publikation die sich diesem Thema widmet ist (unter anderem) vom Nobelpreisträger George Smoot unter dem Titel "Entropic Accelerating Universe" erschienen. Es handelt sich zwar (wie schon Verlindes Arbeit) um eine heuristisches Argument, aber es sieht dennoch viel versprechend aus. Dort ist folgende Grafik zu finden:

Entropische Beschleunigung
(QuellearXiv:1002.4278v3)



Die Schwarzen Punkte in obigem Schaubild sind die beobachteten Werte aus der Rotverschiebung. Die $\Omega$ Kurven sind Modelle mit Dunkler Energie und die gepunktete und gestrichelte Linien basieren auf Entropie und holografischem Prinzip. Ein wirklicher Beweis ist das aber nicht, denn es wird etwa eine nicht gerechtfertigte Temperatur für den holografischen Horizont angenommen (gleichfalls ist aber auch die Menge an dunkler Energie ohne Rechtfertigung angenommen). Wie gesagt es ist eine rein heuristische Argumentation, die aber durchaus ein wenig Licht ins dunkel bringen könnte. Das andere "Dunkel" zu dem wir nun kommen, ist die ...


3.2 Dunkle Materie


Die Dunkle Materie ist ebenso dunkel wie die Dunkle Energie, da sie auch nur eine Konstruktion für eine Astronomische Beobachtung ist. Diese Beobachtung hat mit der Rotationsgeschwindigkeit von Galxien zu tun. Dazu sieht man sich am besten dieses Video an und achte vor allem auf die äußeren Arme der Spiralgalaxie:

Rotation einer Spiralgalaxie (Quelle: Wikipedia)

Rotationsgeschwindigkeit von
Galaxien (Quelle: wiki)
Anhand der "leuchtenden" Materie (Sterne etc.) kann man die die ungefähre Masse und Verteilung der Masse ausrechnen. Simuliert man nun die Rotation einer Galaxie nach den Gravitionsgesetzen (wie bei Planetenbahnen) dann müsste eine Spiralgalaxie so rotieren wie man es links in dem Video sieht. Die Rotationsgeschwindigkeit, die man aber am äußeren Rand beobachtet, ist aber in Wirklichkeit viel größer (vgl. Grafik rechts).


Das Ganze kann man nun vergleichen mit Sandkörnern auf einer Töpferscheibe. Dreht sich diese langsam, bleiben die Sandkörner (wegen der Reibung) liegen. Dreht man diese aber so schnell, dass die Reibung die Sandkörner nicht mehr "fest hält", dann fliegen die äußeren Sandkörner weg. Das Selbe müsste eigentlich auch bei den Galaxien mit den äußeren Sternen passieren, da die Gravitation der sichtbaren Materie diese eigentlich nicht genug "fest halten" kann. Wenn sie aber doch festgehalten werden, kann das nur zwei Ursachen haben: Entweder die Gravitationsgesetze sind falsch oder da ist noch mehr Materie, die man nicht sieht (auch mit Radioteleskopen in anderen Frequenzbereichen als dem sichtbaren Licht), weil sie "dunkel" ist. Letztere Überlegung ist garnicht so abwegig, wie es einem Laien erscheinen mag. Neutrinos etwa, kann man kaum detektieren weil sie kaum wechselwirken und würde auch zuerst als hypothetisches Teilchen vorhergesagt. Aus diesem Grund waren Neutrinos auch Kandidaten für die dunkle Materie (man hat sie aber mittlerweile ausgeschlossen). Es gibt auch Ansätze, die für eine Erklärung an der Gravitation feilen wollen, wie etwa die Modifizierte Newtonsche Dynamik (kurz: MOND).

Hier könnte aber die Entropische Gravitation auch helfen, denn es gibt einen sehr eigenartiges Phänomen. Die Tully-Fischer Beziehung.


Tully-Fischer Beziehung
(Quelle: Riccardo Giovanelli et al. 1997 ApJ 477 L1
"The Tully-Fisher Relation and H0")


Diese Beziehung stellt einen Zusammenhang zwischen Rotationsgeschwindigkeit (x-Achse) und der Leuchtkraft (y-Achse) von Galaxien her. In obigem Schaubild sind über 500 Galaxien verglichen.

Das ist aber nun eigenartig, denn die Rotationsgeschwindigkeit hängt von der Gravitation bzw der Masse ab. Andererseits hängt die Leuchtkraft aber nur von der leuchtenden Materie ab. Wenn es also dunkle Materie gibt, dann müsste diese immer in jeder Galaxie in der selben Proportion zur leuchtenden Materie stehen. Aber warum sollte sie? Warum nicht mal mehr, mal weniger dunkle Materie?

Dieses proportionale Verhältnis motiviert dazu eher nach einer Änderung der Gesetze zu suchen, als nach Dunkler Materie. Das war auch die Hauptmotivation für die Entwicklung von MOND, die ausschließlich durch die Beobachtungen der Rotation entwickelt wurde. Bekenstein, den wir schon in Teil 2 kennengelernt haben, geht auch in diese Richtung und entwickelt MOND zu einer relativistischen Theorie weiter (TeVeS).

Könnte es hier auch wieder eine Erklärung durch die "entropische Gravitation" geben. Ja könnte es. Leuchtkraft hängt von der Temperatur ab und ist ein grobes Indiz dafür, das es wieder einen Zusammenhang zwischen Thermodynamik (Leuchtkraft -> Temperatur) und der Gravitation (Rotationsgeschwindigkeit) gibt. Vorträge von Verlinde (String 2011; Jerusalem Winter School Teil 1, Teil 2, Teil 3) legen nahe, dass er in diese Richtung geht. Da ist alles aber noch sehr, sehr wage und Verlinde hat dazu noch nichts publiziert.

Desweiteren gibt es auch noch eine handvoll Publikation die zeigen wollen, dass sich entropische Gravitation, wie die Gravitation bei MOND verhält. Auch bei der dunklen Materie hat die entropische Gravitation ein großes Potential.



3.3 Verbindung von Relativitätstheorie und Quantenmechanik



Ted Jacobson
(Quelle: umd.edu)
Ich habe bisher nur über Verlindes Publikation geredet. Die Ableitung von Newtons Gesetzen ist aber eigentlich nicht so besonders. Verlinde sagt eigentlich nur: "Leute schaut doch hin, Gravitation ist keine fundamentale Kraft. Eigentlich wissen wir es doch schon länger, wir müssen es aber richtig realisieren". Viel wichtiger ist eigentlich die Arbeit "Thermodynamics of Spacetime: The Einstein Equation of State" von Ted Jacobson. Bei Hawking sah es ja aus, als ob ein Ereignishorizont eine Temperatur hat (vgl Teil 2). Jacobson macht die Annahme, dass dies nicht zur so scheint, sondern wirklich so ist (was Anbetracht des holografischen Prinzips und AdS/CFT durchaus zu rechtfertigen ist - das "als ob" hat seinen Ursprung mit Sicherheit in der Unvollständigkeit der QM und ART). Jacobson beginnt bei der Gleichung für die Entropie aus der Thermodynamik:

$$dS = \frac {\delta Q}{T} $$

... und am Ende landet er bei ...

$$R_{ \mu \nu} - \frac{1}{2} g_{ \mu \nu} R+ \Lambda g_{ \mu \nu} = \frac{8 \pi G}{c^4} T_{ \mu \nu}$$

der Einsteinschen Feldgleichungen (mit kosmologischer Konstante).

Was hat das nun mit der Verknüpfung der Quantenmechanik zu tun? Jacobson bringt es auf den Punkt:

"Betrachten man es auf diese Weise, ist die Einsteinsche Feldgleichung eine Zustandsgleichung. Diese Perspektive legt nahe, dass es ebenso unangemessen sein könnte die Einstein Gleichung kanonisch zu quantifizieren, wie die Wellengleichungen für Schall in Luft zu quantifizieren"
(Quelle: ebd. S. 2; Übersetzung von mir)

Was meint er damit? Kurz und knapp: Gravitation ist keine Naturkraft und es ist deshalb auch sinnlos zu versuchen, diese als Kraft zu quantifizieren und so in die Quantenmechanik einzubinden. Ebenso wie Schallwellen keine Wellen wie elektromagnetische Wellen sind, sondern kleine Druckwellen in einem Gas. Man kann zwar Schallwellen auch quantifizieren (Phononen) aber das sind keine "echten Teilchen". Ein Graviton wäre in diesem Sinn kein Boson, dass man in die Quantenmechanik packen kann.

Dass Wärme in kältere Richtung "fließt" erfordert auch keine "Kraft" im Sinne einer fundamentalen Kraft. Ebenso sollte man die Gravitation nicht als eine Kraft in diesem Sinne sehen. Die Verbindung von Gravitation und Quantemechanik auf konventionelle Art ist aus dieser Sicht einfach nur Blödsinn (und es muss einen DANN auch nicht wundern, weshalb man es bisher nicht geschafft hat). Gravitation existiert fundemental nicht und wäre eine Illusion wie die "Warm-nach-Kalt-fließ-Kraft". Die Verknüpfung der Gravitation mit der Quantenmechanik wäre somit vergleichbar mit der Verknüpfung der Thermodynamik mit der statistischen Mechanik.


3.4 Einsteins Haare



Einstein mit zerzaustem Haar.
Dies ist kein Rätsel der modernen Physik, sondern die Frage, die ich im ersten Teil aufgeworfenen habe: Was könnten Einsteins zerzauste Haare mit der Gravitation zu tun. Ganz einfach: Es gibt keine "Kraft" die einem die Haare zerzaust, wenn man sich im Bett hin und her rollt. Es gibt schlicht mehr Kombinationsmöglichkeiten für zerzaustes (unordentliches) Haar, als für (ordentlich) gekämmtes. Die Entropie für zerzaustes Haar ist höher. Wenn nun Gravatition mit der Entropie auf dem Horizonts beim holografischen Prinzip zu tun hat, ist der Zusammenhang offensichtlich. Auch die Gravitation ist dann genau so wenig eine Kraft, wie die "zerzauste Haare Kraft". Die Antwort auf die Frage, was Gravitation ist, hätte Einstein eventuell bei einem morgendlichen Blick in den Spiegel kommen können. So zerzaust, wie seine Haare meist waren, hat er das aber wohl nur selten getan. (Anmerkung: Auch dieses Beispiel habe ich - wie schon das Mikadouniversum - aus dem Blog des "Hängematten Physikers")





4. Fazit


Die entropische Gravitation ist keine Theorie, sie ist noch nicht mal eine richtige Hypothese, sondern gerade mal eine Idee, eine "was-wäre-wenn-Idee". Aber sie ist eine Idee mit immensem Potential. Sie ist ein radikaler Perspektivenwechsel, wie etwa die kopernikanische Wende. Ein neues Paradigma. Um zu sehen, was dieses Paradigma taugt, muss aber noch viel Arbeit geleistet werden, denn eine "was wäre wenn Idee" eignet sich noch nicht zu einem Paradigmenwechsel. Es wird sicher noch mehrere Jahre dauern bis diese Idee wirklich zu einer (falszifizierbaren) Theorie heranwachsen kann (wenn es überhaupt möglich ist) und es ist im Moment nicht abzusehen, ob es wirklich zu einem Paradigmenwechsel kommt. Sollte es aber dazu kommen, dann wird die Geschichte der Gravitation wohl nicht mit Newton und einem Apfel, sondern mit Sadi Carnot und der Dampfmaschine beginnen...



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