Donnerstag, 1. März 2012

Wissenschaftstheorie - Teil 2: Überlichtschnelle Neutrinos und der Teufel im Detail

In Teil 1 dieses Artikels zur Wissenschaftstheorie habe ich die Bedeutung von Statistik in der Wissenschaft skiziert. In diesem Teil soll es nun um systematische Fehler gehen und um überlichtschnelle Neutrinos.


2. Systematische Fehler

Systematische Fehler sind die Fehler, die nicht durch kleinere Schwankungen in den Messungen zustande komme (und sich somit auch nicht durch Statistik aussortieren lassen), sondern verursachen konstante Abweichungen vom "richtigen" Ergebnis. Beispiele wären etwa falsch geeichte Messgeräte. Zeigt etwa ein Thermometer 5°C zuviel an, so kann dieser Fehler durch noch so viele Messungen (mit dem gleichen Thermometer) nicht ausgeglichen werden. Aber auch eine falsche Behandlung von Daten, kann systematische Fehler hervorrufen. Etwa Bestätigungfehler (der englische Wikipediaartikel ist viel besser). Ein Beispiel hierzu, habe ich in Teil 1 gegeben, als ich den Münzwurf beim Superbowl behandelt habe. Ich wollte die Bedeutung der Statistik zeigen und habe versucht diese Hypothese durch eine selektive Auswahl von Daten zu bestätigen. Beim Argumentieren ist es üblich, bestätigende Beispiele für die eigene Argumentation zu nennen. Wissenschaftlich ist das aber nicht. Würde man die Münzwürfe beim Superbowl analysieren wollen, so müsste ich alle Münzwürfe betrachten und dürfte mir nicht nur diese 14 Würfe hintereinander heraus picken.

Kommen wir aber zu den überlichtschnellen Neutrinos. Im September berichtete die Opera Gruppe am CERN, sie habe die Geschwindigkeit von Neutrinos gemessen und diese sei schneller als Lichtgeschwindigkeit. Die Medien haben groß darüber berichtet (bsp: Physiker rätseln über rasende Teilchen). Für Pseudoskeptiker und Verschwörungstheoretiker war das natürlich ein gefundenes Fressen. Wenn Einstein nicht stimmt, dann stimmt gar nichts und es gibt "freie Energie" etc etc. Gerade bei Laien bleiben solche Artikel "hängen". Was einem gewissenhaften Wissenschaftler gerade mal als Hypothese gilt, wird dann schnell zur ausgemachten Wahrheit. Doch nicht nur Laien sind auf den Zug aufgesprungen auch Physiker haben sich gleich zu Spekulationen hinreißen lassen (Was macht Neutrinos so rasend schnell?). Werfen wir aber mal einen Blick auf die Publikation.


Measurement of the neutrino velocity with the OPERA detector in the CNGS beam



Hinsichtlich dieses Artikels, wird es ab Seite 24 im PDF interessant. In Tabelle 2 werden alle bekannten systematischen Fehler aufgelistet. Auf Seite 25 steht dann das Ergebnis:

\[ \rm{ \delta t = (57{,}8 \pm 7{,}8 \ (stat.)\ {}^{+8{,}3}_{-5{,}9} \ (sys.)) \ ns. } \]

Es werden sauber und getrennt voneinander der statistische und systematische Fehler angegeben. Erwartet man, dass Neutrinos höchstens so schnell wie Licht sind (\(\rm{ \delta t = 0 }\)) so ergibt sich aus den Fehlern eine Signifikanz von \( 6{,}2 \ \sigma \).

Was sauberes wissenschaftliches Arbeiten angeht, gibt es also in dieser Hinsicht nichts auszusetzen.

Das Wichtigste ist aber der Schlusssatz:

"In conclusion, despite the large significance of the measurement reported here and the robustness of the analysis, the potentially great impact of the result motivates the continuation of our studies in order to investigate possible still unknown systematic effects that could explain the observed anomaly. We deliberately do not attempt any theoretical or phenomenological interpretation of the results." (Quelle: ebd S.29)

Trotz der hohen Signifikanz des Ergebnisses und der robusten Analyse möchte man lieber weiter unbekannte systematische Effekte suchen. Interpretationen hält man für zu verfrüht.

In der Tat sind Schlussfolgerungen wohl verfrüht gewesen: Loses Kabel blamiert Teilchenphysiker

Von einer Blamage zu sprechen, finde ich übertrieben. Die Arbeit wurde gewissenhaft durchgeführt und solche Fehler passieren einfach - egal wie sauber die Fehleranalyse ist. Und genau dort ist die größte Tücke von systematischen Fehlern. Zufällige Fehler lassen sich gut durch Statistik berücksichtigen, aber systematische Fehler kann man übersehen, ... egal wie gewissenhaft gearbeitet wurde. Der Teufel steckt eben im Detail.

Und was ist jetzt mit den Neutrinos? Sind die schneller als Licht? Keine Ahnung! Ich zumindest werde das machen, was ich auch schon im September gemacht habe: Erstmal abwarten und sehen wie es weiter geht. Ich persönlich habe schon bisher mit einem Messfehler gerechnet. So leicht werden wir Einstein nicht loswerden, denn auch bei den Widersprüchen zwischen Relativitätstheorie und Quantenmechanik dürft der Teufel im Detail stecken.

2 Kommentare:

  1. "... So leicht werden wir Einstein nicht loswerden, denn auch bei den Widersprüchen zwischen Relativitätstheorie und Quantenmechanik dürft der Teufel im Detail stecken."

    Genau und ich will vermuten, dass das auch nicht notwendig sein wird.
    Ich mir angewöhnt, eher nach Zusammenhängen zu suchen, denn nach Widersprüchen. Das ist einfacher und vor allem motivierender vom Ergebnis her.

    Der Physiker Burkhard Heim scheint ähnlich vorgegangen zu sein - besonders wenn es um "Merkwürdigkeiten" und "Seltsamkeiten" ging. Allerdings sind Heims Grundgedanken in seiner Herangehensweise, Sprache und Form und ziemlich anspruchsvoll und stellenweise echte semantische und mathematische Knochen. Aber ich glaube, die Quälerei lohnt sich!
    Heim hatte schon (ich glaube 1993) darauf hingewiesen, dass es möglicherweise weitere elementare Kräfte gibt, als die bisher bekannten vier physikalischen Grundkräfte und deren Wechselwirkungen.
    Immerhin lässt sich aus Perlmutter, Schmidt und Riess (Nobelpreis 2011) ableiten, dass das Universum expandiert. Sie stellten fest, dass es dabei sogar immer schneller wird. Nun, das ist so neu nicht. Auch Heim hatte vor über zwanzig Jahren ein „zyklisches“ Universum vorgeschlagen, dem nach der Expansion die Kontraktion folgt (folgen muss?).
    Er folgerte, wie die genannten Herren auch, auf die Existenz dunkler Materie und dunkler Energie, die den gesamten frei bleibenden Raum ausfüllen und die 96% der gesamten Energie des Universums ausmachen. Diese sind bis dato nicht in den genannten Grundkräften unterzubringen. Auf absehbare Zeit dürften die Physiker damit beschäftigt sein.

    Vortrefflich lässt sich nun auch wieder über die bis dato mystische und schlechthin als Äther bezeichnete universell vorhandene Energie spekulieren.
    Das wird noch interessant und teilweise lustig - ist aber zulässig, solange es eine Reihe ungelöster Rätsel gibt. Die Entdeckung von Perlmutter, Schmidt und Riess entsprang ja der Legende nach auch einer Laune. Angeblich, weil man mal sehen wollte, ob der Mond nach Vollendung seines Monatszyklus wirklich wieder an derselben Stelle war. Plötzlich beobachtete man zufällig usw. usw.

    Und nun wirft da so ein loser Stecker beim CERN das Ergebnis eines sauteuren Versuchs über den Haufen.
    Über ein loses Kabel fließen die Datenströme schneller? Oder nur manchmal? Oder sie werden verfälscht? Hatten die bloß ein Messgerät oder nur einen Datensatz? Keine Redundanzen? O.k. kann sein, glaube ich aber nicht. Ich würde ja auch ein defektes Messgerät vorschieben, für den Fall, dass... oder wenn...
    Auf jeden Fall hätte mir eine Ausrede(?) vorübergehend etwas Ruhe und Freiraum verschafft, wenn ich das Ergebnis nicht unmittelbar in Gänze und Tragweite zu oder einordnen kann - bis zur Konsequenz es wegen seiner Brisanz willentlich zu verwerfen.
    Es gibt in der Historie eine ganze Reihe Wissenschaftler und Forscher, die eben das taten und deren Entdeckungen plötzlich verschollen waren.

    Ich weiß nicht, ich weiß nicht - man überlege die Folgen, wenn doch...
    Nun, wir werden sehen.

    0,-

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    1. Hey 0.-

      Ich hatte ganz vergessen auf dieses Kommentar zu antworten. Heim kenn ich nicht und kann dazu nicht viel sagen. Ich denke aber, dass der Ansatz prinzipiell nicht gut ist. Wenn ich ein unerklärliches Phänomen habe, dann kann ich dies vielleicht durch eine neue Kraft erklären. Das nächste unerklärbare Phänomen dann wieder durch eine neue Kraft usw. Dann lande ich aber nicht bei universellen Kräften sondern eher bei Einzelfallbeschreibungen. Das Prinzip von Ockhams Razor sollte die Grundmotivation der Wissenschaft sein. Möglichst viele Phänomene mit so wenig Mitteln wie möglich erklären. Es kann natürlich sein, dass die 4 Grundkräfte nicht genug Mittel sind und man wirklich mehr braucht, aber man sollte in erster Linie eher versuchen die Grundkräfte sogar noch zu reduzieren. Die Frage ist natürlich, ob das möglich ist.

      In dieser Hinsicht gibt es aber zumindest mal sehr spannende Indizien. Namentlich die AdS/CFT Korrespondenz. Ganz grob formuliert zeigt diese, dass in einem Speziallfall Phänomene der Quantenmechanik in Phänomen der Relativitätstheorie "übersetzt" werden können. Genauer formuliert gibt es parallele zwischen den Abläufen in einem 5 dimensionalen Anti-de-Sitter Raum (das ist ein Raum der sich als mögliche Lösung aus Einsteins Feldgleichungen ergibt) und den Abläufen einer konformen Feldtheorie (der Quantemechanik sehr ähnlich) auf der 4 dimensionalen Oberfläche. Das ist ein sehr starker Hinweis darauf, dass die Quantenmechanischen Abläufe am Ereignisshorizont eines Schwarzen Loches eine Entsprechung der Gravitation in einem schwarzen Loch hat und beides eine gemeinsame Ursache haben könnte.

      Das passt sehr gut zu dem von dir Gesagten, dass man eher nach Zusammenhängen als nach Unterschieden suchen sollte. Anstatt also die Grundkräfte einfach zu ergänzen, sollte man eher versuchen eine gemeinsame Ursache zu finden. Die AdS/CFT Korrespondenz ist für dieses Vorhaben eine immense Motivation und die Arbeit von Maldacena hat auch eingeschlagen wie eine Bombe.

      Ich schreibe im Moment einen sehr langen Artikel zu einer Arbeit von Erik Verlinde der unter der Annahme einer allgemeinen Gültigkeit der AdS/CFT Korrespondenz (die ist bisher nur für Speziallfälle gezeigt, es kann aber sein, dass diese sich allgemeiner Beweisen lässt) zeigt, dass sich die Gravitation aus der Entropie ableiten lässt. Sollten seine Arbeiten fruchtbar sein, dann könnte man die Gravitation sogar als fundamentale(!) Kraft streichen. Prinzipiell bin ich der Meinung, dass man eher in diese Richtung gehen sollte.


      Was nun den "losen Stecker" angeht. Das hat was mit der Eichung der Zeitmessung zu tun. Die Uhr zur Zeitmessung lief normal und lieferte Daten, aber die Uhr war durch das fehlende Kabel nicht richtig geeicht. Ich denke nicht, dass es sich hierbei um eine Ausrede handelt. Im Gegenteil, für die Wissenschaftler wäre es ja eigentlich besser "was besonderes" gefunden zu haben. In der Presseerklärung hat der Pressesprecher versucht die Hoffnung zu erwecken, dass sich das Ergebnis durch einen anderen systematischen Fehler vielleicht doch aufrecht erhalten lässt. Mir scheint eher das die Ausrede gewesen zu sein.

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